Hier ein paar bisher unveröffentlichte und veröffentlichte Gedichte


 

„Coralinde – oder – wenn Trüffel funkeln könnten”

 

I Schönes Leben und jähes Erwachen

 

Egal, ob die Sonne scheint

oder der Himmel weint,

Coralinde findet Wetter immer schön,

stets bereit, spazieren zu gehen.

 

Seit Tagen jedoch verweilt sie im Koben,

obwohl das Wetter durchweg zu loben.

Doch es existiert eine Seuche,

von der Gefahr ihr deuche.

 

Der Trüffelsammler sieht's entspannt,

dem Trüffelesser bleibt's unbekannt.

Coralinde muss im Stall verbleiben,

weil Bestimmer es so entscheiden.

 

Coralindes Herz pocht und pocht.

Ihre Lebenskerze – ein kalter Docht?

Dennoch will sie raus ins Freie,

wo alles blühe und gedeihe.

 

Sie möchte laufen und raufen,

sich suhlen in matschigen Haufen;

mit anderen um die Wette grunzen,

keinesfalls ihr Leben verhunzen.

 

Coralinde soll das Freie meiden,

es könnte sie ja ein Virus ereilen.

Sie kann das alles nicht begreifen,

würd' lieber die Gegend durchstreifen.

 

Eines Tages kommt der Veterinär

mit einer langen Spritze daher.

Die Nadelspitze funkelt im Sonnenlicht,

und Coralinde mutiert zum flinken Wicht.

 

Sie ist aufsässig, beginnt zu toben,

springt und stürmt aus dem Koben,

büchst aus, entfleucht der Stallgewalt,

türmt feldwärts zum nahen Buchenwald.

 

II Wahrheit kann bitter schmecken

 

Wie ein Strohfeuer

hat es den Dorfklatsch vergiftet,

dass ein Ungeheuer

vom Trüffelhof gestiftet.

 

Menschen in Angst und Schrecken

einen Feind in Coralinde entdecken,

sind bange, schlimm krank zu werden.

Was Böseres gebe es nicht auf Erden.

 

Doch Coralinde ist wohlauf,

spielt und grunzt mit Geschnüffel,

ist glücklich und gut drauf,

verschmäht auch keine Trüffel.

 

Die Neugierde treibt sie in die Stadt,

wo sie sofort alle Aufmerksamkeit hat.

Menschen, die vom Rummel getrieben,

die plötzlich nach allen Seiten stieben.

 

Panisch und mit leichtem Glauben,

bilden Menschen ihre Rotten,

die anderer Illusionen berauben

und um sich abzuschotten.

 

Vorm hölzernen Kirchenportal

harrt eine Gestalt, ganz pastoral,

predigt von christlicher Nächstenliebe,

droht der Sau mit Stock und Hiebe.

 

Aber Coralinde, ganz ungeniert,

unter den strafenden Blicken der Leute,

unbeeindruckt fürbass spaziert.

Durch das Spalier der lauernden Meute.

 

Das schnüffelnde Trüffelschwein

ist stark und doch sehr allein,

kennt keine Furcht, kein Bangen.

Muss dann doch zu rennen anfangen.

 

III Abenteuer und Verzweiflung

 

Die Flucht führt Coralinde

durch ein Meer von Hasstiraden.

Doch entkommmt sie geschwinde

im letzten Waggon der S-Bahn.

 

Auf dem Platz vorm Haus der Weisen

werde man ihr Verständnis erweisen;

doch aus dem Rathaus wird verkündigt,

Coralinde habe arg gesündigt.

 

Trüffelesser jauchzen und kotzen.

Coralindes Herz schlägt schwer.

Sie grunzt borstig und will motzen.

Das interessiert niemanden mehr.

 

So zieht sie weiter unter Menschengebell,

fühlt sich wie ein Gesundheitsrebell,

übers harte Pflaster mit geschundenen Pfoten

durchs Gewirr der gordischen Knoten.

 

Ihre wunden Pfoten tragen sie bis zur Schule,

wo der Menschen Weisheit Saat gedeiht.

Jählings ein alarmierendes, schrilles Gehuhle,

das blanke Hysterie und Panik speit.

 

Erneut kann die Beherzte entkommen,

hat zuvor noch Kinderschreie vernommen,

aus glühenden Kehlen mit viel Radau:

„Treibt sie aus der Stadt, die Sau!”

 

Coralinde weiß weder ein noch aus.

Aufgebrachter Pedell ist empört.

Überall lauert ihr der Garaus,

doch sie selbst bleibt unerhört.

 

Nun strebt sie zum Hohen Gericht,

doch auch dort hört man sie nicht.

Hohle Köpfe entschwundener Geister

leben zuhaufe hinterm Deister.

 

IV Heimat und Sehnsucht

 

Coralinde – zurück im Schatten der Buchen,

hier werde sie niemand mehr suchen.

Sie suhlt sich und tobt vor Glück,

labt sich am vierblättrigen Klee,

mit leuchtendem, gewärtigen Blick,

spürt Frieden und den ersten Schnee.

 

Etwas ist da, was ihr fehlt,

was ihr Sauleben beseelt.

Zig Puzzleteile, die sich fügen,

und ihren Instinkt beflügeln.

Gestärkt von saftigen Rüben,

kann sie sich kaum länger zügeln.

 

In ihrer Kühnheit erstarkt,

läuft Coralinde zum Markt,

fordert das Schicksal von neuem heraus,

geleitet vom Gespür, die Menschen seien kuriert,

ihre Hoffnung trägt sie geradeaus,

durch die Stadt, wo kein Leben mehr existiert.

 

Wo die Menschen mit Fingerzeig am Fenster stehn,

da vernimmt sie abermals Gehuhle und Sirenen.

Es schwant ihr: An diesem Ort ist keiner mehr sicher

Sie nimmt Reißaus vor der frostigen Leere,

hinter ihr das Glockengeläut und höhnisches Gekicher,

wie scharfe Wortspitzen an langen Speeren.

 

Doch Coralinde ist gewitzt,

die Flucht klappt wie geritzt.

Daheim wird sie schon erwartet,

von Rodriguez, dem stolzen Keiler,

bärenstark und dick beschwartet,

ein Eber, wie sonst keiner.

 

Coralinde und Rodriguez werden ein Paar,

leben friedlich fernab der Menschenschar,

durchstreifen gemeinsam, glücklich ihr Revier,

lassen sich leiten von der Natur,

frei von Zweck und Nutzen und der Gier.

Von Sehnsucht nach Menschen – keine Spur.

 

 

17.12.2021


 

„Zwei Sätze zu Corona”

 

Wir erleben eine Zeit,

in der vermeintlich

Geschützte sich

vor Ungeschützten

schützen, weil

der Schutz

nicht schützt.

(so inetwa sprach Lisa Fitz.)

 

In einer Krise suchen

Intelligente

nach Lösungen

und Idioten

nach Schuldigen.

(so inetwa sprach ein querer Klardenker.)

 


 „Familientag im Garten”

 

Ein gähnendes Recken und Gestrecke

im östlichen Sonnenschein

leitet den Frühlingstag ein.

Meisen und Spatzen um die Ecke

streiten zwitschernd ums Futter.

Steckt ein Kinderfinger in der Butter.

 

Balduri schiebt den Roller an Beeten spazieren,

sichtet eine kühne Brandmaus

bei der Vogeltränke, nah am Haus;

die trinkt und klettert, lässt sich nicht beirren.

Papa schnippelt in der Küche Gemüse,

Mama bastelt im Van an der Kombüse.

 

Pflänzchen keimen und sind am Sprießen.

Onkel hockt vorm Laptop und zockt,

während Oma über die Terrasse rockt.

Opa schwenkt die Kanne beim Gießen.

Balduri mischt die Erde auf und tritt sie fest;

ahnungslose Kinder sind der Pflanzen Pest.

 

Oma Ticktack schlummert in ihrem Sessel.

Mal eben zum Baumarkt, und weiter gehts;

Gesäge und Gebohre, und dann stehts.

Erste Bekanntschaft mit einer Brennnessel

lässt ein Kind durch den Garten rennen,

mit ein wenig Aua, tapfer, ohne zu flennen.

 

Am Abend winkt ein leckeres Mahl,

Pikanterie in bunten Farben,

Hungrige sich am Schmause laben.

Über der Straßenlaterne am Pfahl

die Venus am Westhimmel funkelt.

Das Dorf ist schon halb verdunkelt.

 

Amseln singen ihr Lied in die Nacht.

Unter der Hasel raschelt der Igel,

durchstöbert das Efeu ganz penibel.

Schon bald die Sternenpracht erwacht

und das Kind in die Traumwelt schickt

und andere ins Gespräch verquickt.

 

 

08.04.2020

 


 „corona-affairs”

 

Die Welt steht Kopf, über und quer.

Davor das unsichtbare Virenheer.

will sich mehren wie die Menschheit,

braucht dafür bloß kurze Zeit.

 

In Gänsedaunen kuschliger Betten,

als Siedler neuer Kolonien, in Ketten

docken sie an und legen in Lungen Feuer,

mutieren im Nu zum Zivilisationsungeheuer.

 

Ein neuer Stamm im Labor vorbereitet,

vermeintlich von einer Fledermaus verbreitet,

verschafft sich ungebeten Einlass

in die Menschengemeinschaft.
 

Menschen fiebern und sind ganz bange,

das Virus nimmt sie arg in die Zange.

Neue Regeln ohne Fürsorgen,

das politische Herz von morgen.

 

Menschen bleiben daheim und verrotten,

werden zu kleinen zappeligen Sprotten

oder sie genießen wohl und bleiben besonnen.

Bestrahlt vom Sonnenlicht – das Virus zerronnen.

 

Es kehrt das öffentliche Leben wieder zurück,

Menschen singen und tanzen vor Glück.

Ein Fels der Isolation bröckelt und zerbricht

im Gemüt aller Herzen feierlichem Licht.

 

Was wird der glückliche Tag uns bescheren?

Wird er alte Werte neu bewehren?

Oder ein gedeihliches Denken entwickeln,

ohne ratlos mit den Köpfen zu schütteln?

 

 

„Klopapierhamster”

 

Stumpf und beharrlich im Hamsterrad unterwegs,

bei voller Drehzahl, für Wasser und nen Keks.

Das Leben funktioniert im steten Trott

auf den bunten Wegen zum Schafott.

Erst ist er noch ganz froh und munter,

dann geht für ihn die Welt gleich unter.
 

In Zeiten von Virennot

stehn sie parat im Lot,

hamstern die nötigsten Waren,

wodurch sich Ängste offenbaren,

geweckt aus tiefem Schlummer,

bereiten sie anderen zähen Kummer.

 

In Zeiten allgemeiner Versorgungssorgen

wittern sie ihr Geschäftsmodell von morgen,

kaufen brutal sämtliche Märkte leer,

gewinnen daraus für sich noch mehr.

Sie schleppen Klopapier in großen Gebinden,

mit denen sie in kleinen Autos verschwinden.

 

Auf den Schränken in den Zimmern verbaut,

manche Packungen bereits angekaut,

rollen weiße Papierrollen mit ihren Zungen,

schlingen sich um Beine und Lungen,

zerdrücken das Hier und Jetzt.

Am Ende doch verschätzt?

 

 

„Coronamännchen”

 

Es tanzt ein hamsternder Klorollenmann

und springt im Kreis herum, fidelbum;

wickelt dich ein und springt dich an.

Da guckst du dann ganz dumm, fidelbum.

 

Es tanzt ein hamsternder Klorollenmann

und springt im Kreis herum, fidelbum.

Er rüttelt sich und schüttelt sich,

wirft sein Päckchen hinter dich.

Was möge wohl Im Päckchen sein?

Denkt jeder für sich ganz allein.

 

Wer sich umdreht oder guckt,

ist raus und wird bespuckt.

 

Es tanzt ein hamsternder Klorollenmann

und springt im Kreis herum, fidelbum.

Du ahnst es zwar, doch schaffst es nicht.

Der Klorollenmann ist ein flinker Wicht.

Du bist nun sein Gefangener

und hast auch keine Wünsche mehr.

 

Und will sich niemand fügen,

gibt’s welche auf die Rüben.

 

Es tanzt ein hamsternder Klorollenmann

und springt im Kreis herum, fidelbum.

Du sollst aus Scheiße Gold spinnen.

Ja, ist er denn nun ganz vonsinnen?

Mit braunen Händen gehst du ein,

willst nicht länger Menschlein sein.

 

Bist du nicht gewillt, zu tun,

musst du eben für ewig ruhn.

 

Es tanzt ein hamsternder Klorollenmann

und springt im Kreis herum, fidelbum;

wickelt dich ein und spring dich an.

Da guckst du dann ganz dumm, fidelbum.

 

 

28.03.2020 (In Anlehnung an die Melodie vom Bi-Ba-Butzemann)

 

 

„Allein mit Covid-19”  (aus: Tore zum Vorhof der Seele)

 

Corona hie, Corona da;

niemand tanzt mehr Fallala.

Menschen hocken in Häusern,

gebannt und am Duckmäusern

vor dem Virus, das an allen saugt

und fürs gedeihliche Leben nicht taugt.

 

Hitze, aber kein Schwitzen

aus Poren und Ritzen,

doch die Lunge brennt lichterloh.

Nicht bei allen und anderswo

werden aus Menschen Hamster,

ob Senior oder Youngster.

 

Das Virus hat sämtliche Nationen im Griff,

Entscheider gießen Gesetze mit hartem Schliff.

Fast alle verstehen die drastischen Regeln –

ach, würden sie doch auch fürs Klima segeln,

mit Wind aus Disziplin, Solidarität und Verzicht,

hätten wir auch dort die Probleme nicht.

 

Soziale Distanz – für viele eine harte Probe,

Jacken hängen verwaist an der Garderobe.

Kinder tanzen Eltern auf ihren Köpfen,

andere malen Mädchen mit Zöpfen.

Versorgungen in überhöhten Mengen

sich in Haushalten stapeln und beengen.

 

Keine Pendler sich in Öffis drängen

oder im Verkehrsstau festhängen.

Die Wirtschaft ruht und macht dabei Verluste,

der globale Handel – ein Braten mit harter Kruste.

Völker schmoren im eigenen Saft, jeder ist für sich.

Allein mit Covid19, ohne die Liebsten, nur für sich

 

Geisterstädte, die Straßen leer gefegt,

keiner, der mal um die Ecke biegt.

Abendlicher Lebenshauch hinter gelben Fenstern,

wo tags nur unsichtbares Leben, wie von Gespenstern.

So wird’s noch Monate an Erfahrungen dauern,

aus denen wir lernen und hoffentlich wenig bedauern.

 

 

20.03.2020

 


„Marone im Trauerkostüm”  (aus: Tore zum Vorhof der Seele)

 

 

Bräunliches Schillern aus feuchtem Grase,

ein Fenster in die Vergangenheit.

Kastanien graben Erinnerungen,

wärmen sich in mancher Hosentasch'.

Das erloschene Funkeln graublauer Augen

erneut aufblitzt aus dem Dämmer

des rastlosen Taumels.

 

Aus stachliger Schale gesprochen,

wie aus einem vierkiefrigen Polypenmaul,

spitzzüngige, witzige Worte,

als Nachhall dumpf im Kopfe zu hören,

unterbrochen von realen Zankgeräuschen,

aus der nächtlichen Nachbarschaft

und von himmelwärts vorbeidröhnenden Wolkenprüglern.

 

Auf glänzendem, basaltblauen Asphalt

die goldgelben Blätter mit ihren fünf Fingern

wie Hände,

die nicht mehr greifen

und die nicht mehr streicheln,

ausgestreckt und voneinander gespreizt,

ein letztes Ciao vor der großen Reise.

 

Kastanienzweige fegen das Dach

des behaglichen Kämmerleins.

Malen ein Menschengesicht auf rotem Ton:

Das liebevoll spöttische, breite Grinsen

mit Mundwinkeln bis zu den Ohren –

ein Fön für die Seele

und ein Hauch von Abschied.

 

 

4. September 2016


„Einfach klasse” (aus: Tore zum Vorhof der Seele)

 

 

Die Alten sagen Hüh und Hott,

lehren die Jungen den alten Trott,

verkünden ihr imposantes Wissen,

das sie selbst im Leben nicht vermissen.

 

Die Alten frönen dem Bewahren,

was sie selbst von Ahnen erfahren,

mögen ihre Komfortzone nicht verlassen,

vermögen nicht, die Realität zu erfassen.

 

Die Jungen sollen es wieder richten,

was die Alten schamlos vernichten.

Dafür gehen die Jungen protestieren,

um die Wahrheit zu manifestieren.

 

Gegen die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen,

denn das Fortbestehen hängt am seidenen Faden.

Die Schule bestraft sie für ihr Tun und Handeln

mit Einträgen ins Zeugnis, die es verschandeln.

 

Aufrichtig, sinnhaft und gewappnet für die Zukunft,

lautet der Alten Devise. Doch soziale Vernunft

wird verhökert an sterbliche Profitgier,

die stigmatisiert das Jetzt und das Hier.

 

Doch die Jungen lassen sich nicht beirren,

könnten das politische Knäuel entwirren.

Ihr Fokus ruht auf dem Wesentlichen,

das für die Alten längst verblichen.

 

Alte kaufen sich lieber ein Areal auf dem Mond,

statt beizutragen, dass die Erde wieder im Lot,

oder bauen für Tag X lieber Städte im Untergrund

und halten darüber nicht mal ihren Mund.

 

Doch die Jungen wollen anders leben,

wollen diesen Planeten nicht aufgeben,

wollen auf ihre Zukunft nicht verzichten.

Soetwas begreift Kapitalismus mitnichten.

 

Die Bildungshoheit in Händen fataler Politik

ist wie eine Kogge ohne Segel, Tau und Strick.

Wenn Schulen selber nicht mehr lernen,

beginnen sie, sich von Vernunft zu entfernen.

 

Wo Schulen ihre Schulkinder abstrafen,

gibt's für Wissen keinen sicheren Hafen,

anstatt ihnen zu helfen, sie zu unterstützen,

suhlen sie sich in ihren Dünkelpfützen.

 

Wem soll die junge Generation noch vertrauen,

wenn ihnen stets Dünkel um die Ohren gehauen?

Wem sollte sie noch glauben,

denen, die ihnen die Zukunft rauben?

 

Die Alten halten fest an antiquierten Paradigmen.

verwandeln kreative Ideen im Nu zu Stigmen.

Manipuliert von Politik und medialem Flow,

„in this way a human league can't grow.”

 

„Fridays for future”, singen die Jungen.

Selten hat Widerstand so frisch geklungen,

so voller Hoffnung und Ehrlichkeit,

für ein gemäßigtes Leben bereit.

 

 

19. Januar 2019


„Notre Dame” (aus: Tore zum Vorhof der Seele)

 

 

Notre Dame fackelt ab, aus der Ferne Flammengewehe.

Ganz Europa und die Welt trauert mit erhobenen Händen.

Binnen weniger Stunden 700 Millionen Euro an Spenden,

damit das Monument und ein Teil Historie wiedererstehe.

 

Millionen hungernde, verfolgte Menschen, ohne Heimat, ohne Betten,

in den unwürdigen Flüchtingscamps dieser ungerechten Welt.

Europa räuspert sich verzagt und hat für Abhilfe kein Geld.

Materielles zu bewahren, ist wichtiger als Menschen zu retten.

 

So laben wir am Trank der Ferne,

verschlucken uns oft ganz gerne,

genießen auf Kosten anderer,

 

verdrängen unsere Angst vor den Fremden,

erwerben Ablassbriefe und Totenhemden,

tanzen wie eine Schar blinder Wanderer.

 

 

 

16. April 2019


 „Im Land der Desillusionierten”

 

 

Wo Wohnzimmer über die Trassen rollen,

breit und stark wie schwere Minipanzer.

Aus dem Bollwerk auf Rädern kräht ein Lancer,

stellt Forderungen, wortgeschwollen:

Breitere Trassen fürs freie-Fahrer-Paradies!

Und breitere Parkplätze für freie SUVs!

 

Wo die Kerosinpinkler die Wolken prügeln,

mit Fittichen aus Leichtmetall und Rußpeitschen,

in denen Touries hocken, billig Urlaub erheischten,

in feisten Scharen und frei von allen Übeln,

die Reisekolonien in der Ferne erobern

mit viel Geld und Lust fürs Zinnobern.

 

Wo Fleischfresser es nicht verschmähen,

ein saftiges Steak, statt fünf Laibe Brot.

Angeborene Fresssucht als nacktes Gebot,

dass sich anderswo Bäuche blähen.

Die privilegiert Geborenen kommen,

haben die Welt längst übernommen.

 

Wo Plastikhügel zu Bergen wachsen

und in Mägen zu Geschwülsten reifen,

schwärig und mit hämischem Geifern.

Von der Genbank, ganz ohne Faxen,

gibt es einen Ersatzmagen frei Haus

mit Enzymen, die Plastik fressen und jede Laus.

 

Wo Privilegierte ausschließlich nehmen

und anderswo kein Geben existiert,

nur neue Unrast und Gier gebiert,

sich Kapos abends vorm Spiegel schämen,

weil sie ihre blanke Angst verbrämen,

beim Anblick Leidender glotzen und gähnen.

 

 

24. November 2019


„Der ungewisse Himmel” (aus: Tore zum Vorhof der Seele)

 

 

Kondensstreifen kreuzen Chemtrails.

Kilobytes tragen unsere Emails.

Ob Konspirationstheorie oder ganz real,

von unten herauf wirkt es ganz banal.

 

Hübsche, blasse Streifen im Azur.

Dazu pfälzisches Kerosin pur,

aus den zarten Schäfchenwolken,

als würde der Himmel gemolken.

 

Ein Blechvogel in Gefahr und zu schwer.

Zur Landung muss der Bauch erst leer,

sonst ist das Risiko zu groß.

 

So fallen aus ungewissem Himmel

alle Sünden mit Tröpfchengewimmel

der Menschheit in den Schoß.

 

 

20. November 2019


„Balsam für die Seele” (aus: Tore zum Vorhof der Seele)

 

 

Liebe zufuß unterwegs,

Bienen fliegen rückwärts,

weil sie es wollen.

Für den Magen eine Honigwaffel.

Forelle glubscht übers Seerosenblatt.

Wattebausche in den Azur getupft.

Das schräge Geträller eines Piepmatzes.

 

Knallrote Himbeerlippen

küssen ein beschwingtes Herz.

Bis der Mond herüber kommt.

Die Amsel zwitschert

mit Zedernduft in der Nase.

Motte zerknistert im Licht.

Schoppen Wein lässt Freude rein.

 

Verschlungene Arme

vertieft ins Zwiegespräch.

Kein Ziel, keinen Plan,

aber einen gemeinsamen Weg.

Reich an Früchten

der Teller des Lebens,

um das es nicht vergebens.

 

[Wo es die Tauben von den Dächern gurren,

wo die Kätzchen im Schoße es schnurren,

wo immer jemand ein Liedchen singt

und es freudig aus dem Herzen klingt ...]

 

Das Grummeln der Schmetterlinge im Bauch

ebbt ab und wird überschattet

von Gräueltaten und Intriganz.

Nachrichten überholen die Realität.

Erdogan und Putins Botschafter,

Taliban, Aleppo und der IS.

Terroranschlag in Berlin.

 

Gesenkten Hauptes

an deinen Busen gelehnt

lässt es sich ertragen,

werden die Tagesberichte

zu einem Pups im Kosmos.

Von Behaglichkeit und Liebe

benebelt und in Trance.

 

Mich wird die Realität nicht einholen.

Da müssten erst Amseln

auf den Rücken fliegen lernen.

Harmonisch und friedlich, sehr gern,

wenigstens hier, wenn nicht in der Fern'.

Hier schlummert die Liebste,

und ihr Atem ist Balsam für meine Seele.

 

[Wo es die Tauben von den Dächern gurren,

wo die Kätzchen im Schoße es schnurren,

wo immer jemand ein Liedchen singt

und es freudig aus dem Herzen klingt ...]

 

 

2016


„Gelbwesten” (aus: Tore zum Vorhof der Seele)

 

 

I

Gelbwesten sind wie Wespen,

sie knispern an allem und stechen jeden.

Treten das Klima mit ihren Füßen,

jenseits von Vernunft gelegen.

 

Senkung der Dieselsteuer lautet die Parol'.

Und Freiheit für die Autofahrer.

Klima egal, hauptsache Eigenwohl.

Nur die Luft wird davon nicht klarer.

 

Für Klimaschützer auf der schwarzen Liste,

zum Abschuss, zum Ersticken freigegeben,

dann ab in eine kompostierbare Kiste.

 

Die Autolobby jauchzt und jubelt,

Freiheit für den Billigsprit! Und daneben

werden Emissionspapiere verrubelt.

 

II

Gelbwesten-Plebs als Menschen

mit vorgeblich reinem Gewissen,

tief unter ihren weißen Westen,

so tief, dass sie es nicht vermissen.

 

Finden ihr Glück im kollektiven MIV,

dem Status von Freiheit und Abendteuer,

generieren einen toxischen Mief,

aus dem Footprint, der wächst ungeheuer.

 

Demokratie ist für alle da,

auch für ihresgleichen,

jene verlorenen Kinder.

 

Es motiviert ungemein, zu sehen,

wie sie zusammen nicht weichen,

auch, wenn sie in die falsche Richtung gehen.

 

 

 

10. Februar 2019


„Das zarte Funkeln” (aus: Tore zum Vorhof der Seele)

 

 

O welch funkelnde Sternenpracht,

Aquamarine, Smaragde und Karfunkel

erhellen das tiefnachtblaue Dunkel,

das um diesen Globus wacht.

 

Wir fühlen uns klein und unbedeutend,

suchen Schutz unterm Himmelszelt.

Wir spüren die Winzigkeit dieser Welt,

aus der Ferne aquamarin leuchtend.

 

O welch heilende Wärme und gleißende Helle

in allen Farbspektren prächtiger Lichter.

Strahlen umschmeicheln unsere Gesichter,

erzeugen in unseren Seelen eine sanfte, warme Welle.

 

Wir fühlen uns groß und bedeutungsvoll,

lassen es angehn bei Tageslicht.

Wir werden vom nächtlichen Wicht

zum Titan, aber mit dem Hirn eines Troll.

 

Das zarte Funkeln

öffnet die Fenster

zu unseren Seelen

und leckt im Dunkeln

an unseren Träumen.

 

 

22. Februar 2019